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kaffäj

„Einen Kaffee bitte“, bestellte die ältere Dame vor mir. Ich stand in der Schlange am Tresen einer dieser Coffee Shops, in denen es keine THC-haltigen Rauchwaren, dafür aber diverse Heißgetränke zu erwerben gibt. Da ich mich im Gedanken gerade mit der bevorstehenden Änderung meines Lebensjahrzehnts beschäftigte, fanden diese Worte erst den Weg in mein Bewusstsein, als die junge Frau hinter dem Tresen, zwar vordergründig freundlich, aber mit etwas zu schriller Stimme fragte:
„Einen caffè latte, einen caramel macchiato, caffè mocha oder caffè americano?”

Die alte Dame schaute irritiert und verunsichert. „Entschuldigung“, entgegnete sie, „aber haben Sie keinen Kaffee?“
Ich schaute auf und fragte mich, ob die sehr junge Bedienung wusste, was mit „Kaffee“ gemeint war.

Was wurde eigentlich aus dem „Kaffee“? Als ich noch Kind war, bestellten meine Eltern davon eine Tasse oder (draußen nur) Kännchen. Mit dem Einzug der italienischen Gastarbeiter kam auch der Cappuccino nach Deutschland, den zwar niemand schreiben konnte, aber das war ja auch nicht Sinn der Sache. Der urbane Mensch bestellte lässig einen „Kappu“ und schlürfte vom frühen Morgen bis spät in die Nacht das Ergebnis hochdruckdurchspülten dunkelbraunen Espressopulvers mit, unter ohrenbetäubendem Lärm hergestellten, Milchschaums. In Kneipen die nicht nur mit verqualmter Luft, sondern auch mit Philosophiestudenten gefüllt waren, wurde dagegen meist Café au lait ausgeschenkt. Weniger francophile und intellektuelle Naturen durften auch schon mal einen Milchkaffee bestellen.

Aber irgendwann war er plötzlich war er da, der neuerliche Auswuchs überseeischen Kulturimperialismus'ses. Eigentlich italienischen Ursprungs, aber amerikanisch annektiert kreischten die Mahlwerke und die Aufschäumdüsen nicht mehr bei „Angelo“ oder „Francesco“, sondern in cool gestylten Bars mit Selbstbedienung und Pappbechern. Diese Becher waren es wohl auch, die als „Coffee to go“ die Botschaft in alle Ecken zumindest städtischer Kultur brachten. „Schaut“, sagten sie: „man trinkt jetzt im Gehen und sagt „Kaffäj“.

Mit den Lebensgewohnheiten ändert sich also auch die Sprache. Leider sind Teile der Bevölkerung allzu oft von Informationen gesellschaftlicher Neuerungen abgeschnitten. Das betrifft in erster Linie ältere Menschen und solche, die auf dem Land leben. Nun bin ich ja Profi, was veränderte Sprache betrifft und eilte der alten Dame bei ihrer Bestellung zur Hilfe: „Einen Caffè latte regular decaf for to stay, bitte“ orderte ich souverän.

Ich glaubte eine Träne ich dem Gesicht der alten Frau zu sehen, als sie mit Ihrem Pappbecher auf einem Sessel am Fenster saß und lächelnd auf die Straße schaute.
schnatterliese - 5. Apr, 13:27

kulturimpersialismussesdennimmereinmusssein?
nettes wort.

komma.vorbei - 5. Apr, 13:36

Das hat man nu davon: da will man mal dem Genitiv sein Freund sein und schon geht das auch wieder in die Hose.
schnatterliese - 5. Apr, 13:44

nun ich hätte auch das thema des alterns in den vordergrund stellen können und dann dacht' ich so bei mir, mal ehrlich: musses sein?
komma.vorbei - 5. Apr, 14:09

nee, DAS musses ja nun wirklich nicht. schlimm genug, dass die jetzt auch noch am tag der feierlichkeiten meiner verjährung den papst unter die vatikanischen bodenplatten bringen.
ich geh jetzt erst mal was trinken. ne latte oder so...
schnatterliese - 5. Apr, 16:14

ha! dafür altern sie wenn kalle aus dem königreich frau rottweil ehelicht. das ist doch auch was.
40something - 5. Apr, 13:47

Noch ein Grund mehr, diesen abgebildeten Laden zu boykottieren.

(Da darf man noch nicht mal legale Rauchwaren zu sich nehmen...)

poodle - 5. Apr, 15:39

Ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, dass es in heutigen Treppenhäusern nicht mehr nach Kaffee riecht, selbst wenn ein solcher aufgebrüht wird? Aber das ist wahrscheinlich ein anderes Thema, das nehmen wir uns bei Gelegenheit mal gesondert vor. Ich kenne übrigens Kaffeehäuser, in denen die Latte satte 3,70 EUR kostet. Das finde ich ziemlich viel für ein Gläschen H-Milch mit einem Fingerhut voll Kaffee drin. Ältere Menschen und die Landbevölkerung können sich das vermutlich gar nicht mehr leisten, womit wir beim Rentenproblem und den EU-Agrarsubventionen wären. Ein vielschichtiger Artikel also, dafür danke ich Ihnen!

komma.vorbei - 5. Apr, 16:05

Gern geschehen. Wenn wir aber damit anfangen, das Thema "Kaffee" zu problematisieren, können wir hier ganze Blogs nur damit füllen. Z.B., dass der von Ihnen angesprochene Preis für eine "Latte" nahe an dem ist, was ein Pfund Kaffee kostet. Was davon beim südamerikanischen oder sonstwoaufderwelt am Existenzminimum lebenden Kaffeebauern ankommt, mag man sich gar nicht ausma(h)len. Da sollte sich jeder mal an die eigene Nase fassen und öfter bei Transfair nicht nur vorbeisurfen.
harvey - 5. Apr, 17:07

dieses starbucksgehabe kann ich nicht ausstehen. die kaffeekultur geht den bach runter. pappbecher, karamel und kirschsirup im häferl. entsetzlich!
da laß ich mir doch am liebsten guten kaffee von einem unfreundlichen maschentragenden ober serverieren als von einer 18jährigen mit genau obenbeschriebener auswendiggelernten eingangsphrase.

poodle - 6. Apr, 00:29

Herr Harvey, sind Sie nicht im Österreichischen beheimatet? Ich finde, da können Sie sich nun wirklich nicht über die Ober beschweren. Die Ober, mit denen ich in Ihrem interessanten Land zu tun hatte, verfügten durchaus über schrägen Humor, ja fast philosophischen Tiefgang. Na gut, beschweren im eigentlichen Sinne tun Sie sich ja nicht, ich würde sagen, Sie stellen sie als das kleinere Übel dar. Ich aber frage Sie: haben die Ober das verdient? Gäbe es in meiner Stadt ein Kaffeehaus mit österreichischen Obern, könnte es mich begeistert als Stammgast eintragen resp. mich als begeisterten Stammgast eintragen. Bevor ich jetzt leider wieder schließen muss, weil der Platz und auch meine Energie allmählich knapp wird, sende ich einen guten Gruß in Ihr erstaunliches Land und zu Ihnen auch.
komma.vorbei - 6. Apr, 15:25

Jelinek

Als Norddeutscher kann ich kann mich sicher nicht als Kenner der Wiener Kaffeehausszene bezeichnen, aber wenn ich in der österreichischen Hauptstadt bin, lasse ich mir nie einen Besuch im Cafe Jelinek entgehen!
frau_floh - 6. Apr, 15:00

Ich kann mit Stolz berichten, dass ich noch niemals in meinem Leben einen Cafe Latte oder Frappoccino zu mir genommen habe, oder wie die Dinger alle heissen. Cappuccino ist schon das höchste der Gefühle, aber am Wochenende zum Frühstück gibts regulär den altmodischen Filterkaffee. OK, zur Zeit weniger, da ich Koffein meiden muss, deshalb gibts für mich die nächste Zeit, das erste Mal wieder seit meiner Kindheit, Caro-Kaffee ;)

frau_floh - 7. Apr, 07:58

[Offtopic]

Herr komma.vorbei, warum lassen Sie mich Ihr Weblog nicht abonnieren? Absicht? Einstellung vergessen? Oder liegt es daran, dass ich meine Brille heute nicht aufhabe und den Button einfach nicht finde? Fragen über Fragen ... die auch Wissen macht Ah! nicht beantworten kann ...

komma.vorbei - 7. Apr, 09:23

[Re: Offtopic] Frau Floh,
allzu gern würde ich ihnen ein, selbstverständlich kostenloses, Abonnement anbieten. Wird denn bei Ihnen nicht diese Zeile ganz oben im Browserfenster angezeigt? Tut mir leid, bin ratlos (wieder einmal).
frau_floh - 8. Apr, 12:53

Ach, ich Dummerchen, natürlich habe ich Sie schon abonniert. Aber das Abo kann ich nicht AKTIVIEREN, d.h. ich kann nicht einstellen, dass ich per Email benachrichtig werde. Denn das müssen SIE den Abonnenten erst noch erlauben:

Weblog-Verwaltung > Module > Extension Module > E-Mail-Benachrichtigung > Klick auf Einstellungen und ein Hakerl bei "Sollen Benutzer die Möglichkeit haben, sich per E-Mail über Aktualisierung auf diesem Weblog informieren zu lassen?" machen.

Danköö!
komma.vorbei - 8. Apr, 17:21

Büddeschööön :-)
jazz_und_mehr - 7. Apr, 10:01

Ich finde ja jegliches Gemache und Getue um Kaffee (Und was ist mit Tee?) ganz fürchterlich. Alle paar Jahre wird eine neue Sau durch die Café-Landschaft und Teestuben getrieben, wird mit billigen Methoden versucht, das (traditionelle) Konsumverhalten anderer Länder auf billigste Art und Weise nachzuäffen.

Waren es anfänglich die Milchkaffees (Kaffee-Olé, wie man hier im Ruhrpott sacht), die aus Schüsseln getrunken wurden, die viel zu groß waren, um sie noch vernünftig mit zwei Fingern anfassen zu können, und in denen das gewünschte Getränk aufgrund der viel zu großen Oberfläche ruckzuck erkaltete, kam dann mirnichtdirnichts die Cappu- (am besten mit Sahne statt Milch *würg*) und Esxpresso-Fraktion zum Zuge, die jedoch schnell von den Latte-Liebhabern abgelöst wurde.

Bei dem Gefleckten frage ich mich ständig, ob da nicht einfach nur die Schale des alten Milchkaffees gegen ein neues, nicht minder unpraktisches Gefäß eigetauscht wurde, denn geschmacklich passt da kein Körnchen zwischen. Und auch das Verletzungsrisiko ist nicht zu vernachlässigen - wie oft sieht man Menschen mit hässlichen Stichwunden um die Augenpartie, weil sie wiedermal vergessen haben, vor dem Latte-Konsum den Löffel aus dem Glas zu nehmen.

Über die Preise des zugegebenermaßen schmackhaften bräunlichen Gesöffs wollen wir mal galant den Mantel des Schweigens breiten. Und doch hat es jeder von uns selbst in der Hand (und zwar im wahrsten Sinne des Wortes). Niemand wird gezwungen, diesen Unsinn mitzumachen. Und Starbucks hat hierzulande nicht umsonst dicke Positionierungsprobleme.

Nachdem ich nun so lange herumgeschwallert habe, will ich jetzt auch zum Punkt kommen. Eigentlich wollte ich nur eines sagen:

Danke für diesen wunderbaren Text

komma.vorbei - 7. Apr, 10:05

Danke für diesen wunderbaren Kommentar!

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