Nein, ich lese nicht regelmäßig die „Süddeutsche“.
Nein, „Die Zeit“ liegt nur selten in meinem Wohnzimmer und wird noch seltener gelesen. Nein, ich gehöre nicht zur intellektuellen Polit-Elite des Landes oder zu denen, die sich ein wirklich qualifiziertes Urteil über jene erlauben können, die die Geschicke unseres Landes steuern. Gut, ich lese die „HAZ“ und höre NDR-Info. Ersteres versorgt mich aber hauptsächlich mit Informationen darüber, wann Ikea endlich eine Filiale in meiner Nähe eröffnet. Und die Berichte auf NDR-Info erreichen die Strecke vom Autoradio bis zu meiner Großhirnrinde nur mühsam, da ich morgens auf den Weg zur Arbeit
noch und nach Feierabend
schon wieder zu müde bin, um wirklich Wichtiges aufzunehmen.

Mein Halbwissen über die politischen und sozialen Zustände in der Welt befähigen mich aber immer noch ausreichend, mein tägliches Leben zu meistern und obendrein auch noch alle paar Jahre in der Wahlkabine das Kreuz an einer Stelle zu machen, an der es nicht allzu viel Schaden anrichtet. Doch seit gestern weiß ich, dass es trotzdem ein Fehler war, die überregionale Presse bisher weitgehend zu ignorieren.
Auf Empfehlung meiner geschätzten A. besuchte ich nämlich den
Literarischen Salon in Hannover. Und dort sah ich
Gott! Zumindest stellte der Moderator Joachim Otte die provokante Frage: „Ist der Zeit-Kolumnist
Harald Martenstein Gott? Nachdem Martenstein einige seiner genial geschriebenen
Kolumnen hervorragend vorgetragen hatte, fand ich die Frage nach der Heiligkeit seiner Person nicht mehr wirklich provokativ. Schließlich versteht man laut Wikipedia unter Gott „...allgemein ein (meist) unsterbliches, übernatürliches und mit großer Macht ausgestattetes Wesen ...“.
Zugegeben, wirklich unsterblich sah der leicht ergraute Mann auf der kleinen Bühne nicht aus, aber die Scheinwerfer gaben ihm schon etwas übernatürliches – und seine Worte hatten Macht, große Macht. Nicht nur, dass sie das Publikum zum Lachen brachten. Hinter dem vordergründigen Humor bemerkt man Martensteins feinsinnige Beobachtungsgabe menschlicher Schwächen und gesellschaftlicher Irrsinnigkeiten.

Und der Zuhörer erkennt sich in vielem, manchmal erschrocken, wieder. Zum Beispiel, wenn Martenstein angesichts seiner zunehmenden Leibessfülle auf dem Laufband zusammenbricht und sich nach dem Körper zurücksehnt, den er als 25jähriger im Spiegel sah: „Die Muskeln spannten sich unter der pfirsichfarbenen Haut, wie bei einem edlen Windspiel. In den Locken woben Elfen ihre Netze.“
Am gestrigen Abend hatte Gott auch noch einen seiner irdischen Vertreter dabei:
Juan Moreno, dessen Kolumne sich allsamstäglich in der Süddeutschen Zeitung lesen lässt. Juan Moreno erreicht nicht ganz die Göttlichkeit Martensteins, aber als Verkündiger seiner eigenen Worte macht er sich ebenso gut. Juan Moreno sieht dazu auch noch gut aus. Juan Moreno hat aber ein Problem: er mag das Internet nicht. Das liegt in erster Linie daran, dass das weltweite Netz Informationen Preis gibt, die seiner Ansicht nach lieber im Dunkeln verborgen bleiben sollten: „Baum“ war in seiner spanischen Familie das Wort für einen Baum, „Auto“ das für ein Auto und „Juan“ das Wort für einen männlichen Familiennachwuchs.

Da das offensichtlich in vielen spanischen Familien der Fall war, und Mureno ein ebenso häufiger Nachname wie das deutsche „Braun“ ist, finden sich nicht nur in Morenos Stammbaum viele Juans, sondern weltweit eben auch eine Reihe anderer Juan Morenos. Das wäre im Prinzip nicht weiter schlimm. Vielleicht gibt es auch einen ganz einfachen Grund, warum der Schauspieler Jean Reno den Namen Juan Moreno ablegte, um berühmt zu werden. Aber vielleicht liegt es auch an der Namensgleichheit mit einem der
meistgesuchten Sexualstraftäter Texas’!?.
Egal, wie man sie nennt: Martenstein, Moreno, Gott, Jesus oder Maria – es war ein äußerst unterhaltsamer Abend im Hannoverschen Conti-Gebäude. Und in meinem Wohnzimmer wird man nun sicher häufiger „Die Zeit“ oder die „SZ“ finden.
Nachtrag:
Kolumne
"Von mir aus" von Juan Moreno über den Abend in Hannover in der
Süddeutschen Zeitung vom 23.5.2005
(pdf-Datei)